Ihr altes Leben war gar nicht schlecht, sie hätte auch so weitermachen können. In einer Beziehung mit ihrem Freund bleiben, der sie seit sechs Jahren liebte und den sie liebte, in einem Job, der sie zwar langweilte, aber okay war. Bürojob, mit netten Kollegen, vielen Freunden. In ihrer Heimatstadt Braunschweig, wo sie jede Strasse kannte, weil sie nie woanders gewesen war. Das Leben als Fluss, der ruhig und beständig in seinem Bett floss. Keine Strudel, keine Überraschungen, dafür sicher und berechenbar. Das ist doch schon viel, das reicht doch für ein Leben, es muss doch nicht mehr sein.
Oder?
Doch, befand Grit irgendwann. Genauer gesagt zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten anderen träge werden in ihrem Status, sich eingerichtet haben. Zu steif, um im Fluss des Lebens noch einmal die Richtung zu wechseln. Zu ängstlich, um sich in Stromschnellen zu werfen, die unverhofft auftauchen. Zu müde, zu bequem, zu festgefahren.
Grit sieht jünger aus als 46 Jahre, eher Typ freche Göre als braves Mädchen. Gross, verschmitztes Lächeln, wasserstoffblondes Haar, darin heute ein rosa Band, mehrere Tattoos über den Körper verteilt, «aber die bedeuten nix», sagt sie. Nur ein einziges ist wichtig: der kleine Anker auf dem rechten Ringfinger, den ihre beste Freundin Katja ihr damals schenkte, als Grit ihr altes Leben verliess. Erst ihren Partner, dann ihren Job. Und dann Braunschweig. Um Köchin zu werden, auf Sylt. Weil okay eben doch nicht genug war.