Wie seine Tochter heute ist? Er kann es nicht sagen.
Wie sie war? Lebhaft, klug, sie spielte Klavier, hatte es sich selbst beigebracht nach Gehör. Ansonsten: langes gewelltes, braunes Haar. Nicht gross, nur 1 Meter 60. Aber gross und schön waren ihre Augen, gross, als kämen sie aus dem Staunen über die Welt nicht heraus.
Nun, 1 Meter 60 gross wird sie wohl auch heute noch sein. So viel zumindest kann er sagen.
Das Dämmerlicht im Hausflur sollte einen nicht täuschen. Wenn man endlich die vielen Stufen hinaufgeklettert ist in den obersten vierten Stock, öffnet sich die Tür zu einer geräumigen Wohnung, die der Oktober verschwenderisch mit seinem Licht ausstattet. Bern. Stadt von solider Schönheit, von keinem Krieg touchiert, viel alte Architektur, massive Mauern, hinter denen sich geräuschlos glücklich leben lässt. Über den Dächern der Stadt liegt der Glanz der letzten Herbsttage, das Licht färbt den Tag in Dur.
Der Balkon ragt in einen begrünten Hinterhof, man sitzt im Lärmschatten der belebten Moserstrasse. Alles, was man hört, sind die Stimmen der im Hof spielenden Kinder. Es gibt Momente, da wähnt man sich, beschirmt von einem makellos blauen Himmel, über Kinderstimmen und den ersten fallenden Blättern mit Goldlasur schwebend, sicher vor jedem Unglück, auch vor dem grössten anzunehmenden Unglück, das für einen Vater vielleicht darin besteht, seine Tochter zu verlieren.