Schnapsidee ist es keine, Rotwein aber fliesst grosszügig an jenem herbstlichen Abend, den wir im pittoresken Bündnerland mit einem befreundeten Landwirt verplaudern. Nach dem dritten oder vierten Glas gärt im Hirn des Bergbauern offenbar eine fahrlässige Idee, und ein paar Schlucke später holt er rhetorisch Anlauf, um uns einen aussergewöhnlichen Vorschlag zu unterbreiten: Im kommenden Mai möchte er gerne ferienhalber mit der ganzen Familie nach Italien reisen, während wir seine Kühe melken. Verblüfft blicken wir aus der Wäsche, dieses Ansinnen überrumpelt uns. Da wir aber geprägt sind vom mittelmässigen Mittelland, mutet ein derartiger Vorschlag in unseren Ohren nicht nur absurd, sondern auch romantisch an. Als die nächste Flasche offen ist, geben wir ihm die Zusage. Nach der Polizeistunde spazieren wir zu dritt und euphorisiert durch das schmucke Dorf auf den Hof zu, atmen erfrischt die kühle, alpine Luft, über nachtklaren Bergwundern zeigen Sterne ihr zustimmendes Gefunkel.
Anderntags, wir sitzen beim ersten Frühstück, der Landwirt beim zweiten, wiederholt er zu unserem Erstaunen seine Idee. In seiner Miene lese ich, er sieht sich bereits entlang der Strandpromenade flanieren, einen Gelato in der Hand, froh, keine Stallluft zu atmen, einmal fern zu sein jener wiederkäuenden Herde, die keine Rücksicht nimmt auf politische Errungenschaften wie die 42-Stunden-Woche.
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Forschend blicke ich in die Augen meiner Gefährtin, die für die Glimmdauer einer nervenstärkenden Zigarette auf den Balkon geflüchtet ist: Sollen wir uns, beide landwirtschaftlich vollkommen ahnungslos, tatsächlich aufbürden, während zehn Tagen elf Kühe, einen Stier namens Elvis, acht Rinder, sieben Kälber, zwei schwergewichtige Wollschweine und vier vermutlich hochgradig störrische Esel zu versorgen?