Sauweilig

Langweilen sich Schweine wie Menschen? Lernexperimente aus dem Stall liefern Antworten.

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Graue Türen, graue Gänge, graue Luft: eine in nackten Beton gegossene Innenarchitektur, von der bisweilen unklar bleibt, ob sie zu einem Schweinestall oder doch eher zum Bauch eines mächtigen Frachtschiffs gehört. Die Flure sind lang, bestückt mit teilnahmslos an der Decke hängenden Neonröhren, die pedantisch an ihren Abständen festhalten; hinter gewissen Türen folgt einem gesichtslosen Flur der nächste gesichtslose Flur, hinter anderen Türen liegen mit einem Mal erschreckend nah und doch meilenweit entfernt, gestrandeten Walen nicht unähnlich, kolossale Schweine. Massig lagern sie auf dem grauen Betonboden, demütig das Gewicht ertragend, das sich in ihren von Bewegungs- und Erlebnisarmut angeschwollenen Körpern angesammelt hat.

Alles ist trüb, diffus erhellt von einem staubgrauen, durch schwere Milchglasscheiben kriechenden Licht. Es riecht nach Ausscheidungen, aber nicht sehr, leise sirren die Lüftungen. Und hinter der nächsten Tür steht ein metallener Handwagen, halb Rettungsbahre, halb Leichenwagen; stabil genug, wahlweise einen verletzten Menschen oder ein totes Schwein zu tragen.

Und draussen, vor dem Eingang, ist eine Plakette montiert, die diesen Hof auszeichnet für sein besonderes Tierwohl.

Einmal angenommen, es besuchte zunächst ein Schweinemäster aus dem nordeuropäischen Flachland, dann eine Berglandwirtin aus den Alpen diesen Hof: Der Nordeuropäer findet hier einen sympathisch kleinen, romantisch anmutenden Schweinehof vor, auf dem die Tiere viel Platz und Freiheiten geniessen. Der Mäster ist überrascht zu sehen, dass sich hier eine Muttersau problemlos und fast jederzeit um 360 Grad drehen kann, ohne von Metallstäben daran gehindert zu werden, ist überrascht zu sehen, dass ein Betrieb auch mit derart wenigen Tieren wirtschaftlich über die Runden kommt, und verblüfft stellt er fest, dass viele Schweine hier eine menschliche Berührung furchtlos akzeptieren. Schon fast rätselhaft erscheint ihm, dass die Tiere ihre Schwänze tragen dürfen – europaweit gewiss eine Seltenheit.

Nun besucht die Landwirtin aus den Bergen diesen Stall: Gewohnt, zehn oder zwölf Schweine im Freiland zu halten, erkennt sie in diesem Hof eine hässliche Industrieanlage, auf welcher die Bedürfnisse der Tiere – insbesondere das basale Bedürfnis, täglich während sieben oder acht Stunden im Boden wühlend nach Nahrung zu suchen – in empörender Weise missachtet werden. Die Landwirtin gewinnt den Eindruck, es litten diese Tiere an Platznot und Bewegungsmangel, sie scheinen ihr schreckhaft, apathisch, ihre Seele hält sie für weitgehend erloschen. Es schmerzt sie zu sehen, wie sich hier alles nicht am Tier, sondern am Geld orientiert; insbesondere die mit Hormonspritzen synchronisierte Trächtigkeit der Muttertiere findet sie infam, aber auch der Umstand, dass diese Tiere ihr Leben lang nie einen direkten Sonnenstrahl oder einen Regentropfen auf ihrer Haut spüren können. Bei einer derartigen Haltung von erhöhtem Tierwohl zu sprechen, hält sie für maliziös. Darüber, dass die beiden Eber auf dem Hof lediglich dazu dienen, ihren hormonell stimulierenden Geruch zu verströmen, und dass sie ohne jeden Kontakt zu den weiblichen Tieren bleiben, kann sie nur den Kopf schütteln.

Dieser von mir besuchte, hier beschriebene Stall: Ich dürfte ihn gewiss namentlich nennen, aber dann müsste ich der Betriebsleitung meinen Entwurf zu diesem Text vorlegen – und könnte nicht mehr frei beschreiben, was ich beobachte, müsste den ersten Abschnitt wohl vollständig streichen.

Was ich beobachte: Einerseits diese sediert wirkenden, scheinbar auf ihr Fleisch-Sein und Stoffwechselvorgänge reduzierten Tiere. Andererseits ist die an der Fassade angebrachte staatliche Auszeichnung mit vielerlei Auflagen verbunden. Mit Auflagen, die das Wohlbefinden der Tiere bestimmt signifikant verbessern und die Rendite eines Betriebs mindern.

Wie kann ich mir, angesichts dieses Widerspruchs, eine solide Meinung bilden? Wie kann ich wissen, wie sich ein Schwein fühlt?

Die Frage, was Tierwohl genau heissen könnte, beschäftigt mich schon eine Weile. Einerseits als Landwirt, andererseits als Schriftsteller. Bei meiner Arbeit auf dem Bauernhof habe ich witzige, kontaktfreudige, Beziehungen pflegende und auch trauernde Schweine kennengelernt. Als Schriftsteller ist mir, recherchierend für mein Buch Lentille. Aus dem Leben einer Kuh, ein Forschungsprojekt aufgefallen. Ein Team um die Tierwohlforscherin Sara Hintze geht dabei der Frage nach, ob Schweine, die wenig oder nichts zu tun haben, an Langeweile leiden.

Schweine, die sich langweilen?

Diskutiert der Mensch übers Tierwohl, sitzen nur selten andere Tiere mit am Tisch. Erst seit wenigen Jahren, seit dem Aufkommen der Tierwohlforschung, verbreitet sich ein neues Wissen, ein neues Bewusstsein auch. Aber wie liesse sich wissenschaftlich nachweisen, ob sich in derartigen Stallungen gehaltene Schweine langweilen? Und falls sie dies tun: Inwiefern müssten wir schlussfolgern, dass Langeweile das Tierwohl herabsetzt?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, reise ich im Nachtzug nach Wien, fahre mit meinem Rad fünfzig, sechzig Kilometer hinaus nach Niederösterreich und klopfe an bei jenem Gebäude, in welchem das Team von Sara Hintze einen speziellen Stall hergerichtet hat. Wer diesen Stall betreten will, wird von einem Zettel an der Tür empfangen: Please do not touch or talk to the pigs.

Hinter der Tür befindet sich ein Stall, in welchem viel Holz verbaut wurde: In acht grosszügig bemessenen Abteilen tummeln sich jeweils acht junge Schweine; eines der Abteile ist ohne Schweine und zur Hälfte bebaut mit einer schulterhohen, schokoladenbraunen Holzwand, die, bespannt mit allerlei Schnüren, bestückt mit kleinen Holzklappen, beobachtet von zahlreichen Kameras, offenbar wichtige Aufgaben wahrzunehmen hat.

Derart sauber ist es in diesem Stall, dass es problemlos möglich ist, die Gummistiefel auszuziehen und in Socken umherzugehen. Dies ist auch angenehm, weil eine Bodenheizung für einschläfernde 27 Grad Wärme sorgt.

Maria, eine 28-jährige Masterstudentin der Nutztierwissenschaften, kniet gerade, einen Pinsel und eine Liste in der Hand, in einem Stallabteil. Die acht hier untergebrachten Ferkel zeigen sich schüchtern, blicken mit Argwohn auf die unbekannte Frau. Maria versucht, die Nummern zu lesen, welche die Ferkel auf ihren Ohrmarken tragen. Die Tiere sind noch so klein, dass jenes Ohr, welches die Marke tragen muss, vom Gewicht des Kunststoffs leicht nach vorne gezogen wird. Einige Ohren zeigen auch Kampfspuren, sind blutverkrustet von hierarchiebedingten Auseinandersetzungen.

Um ihre Arbeit zu tun, wäre es für Maria das Einfachste, sich ein Ferkel nach dem anderen zu packen, es kurz hochzuheben – aber sie weiss, wie masslos laut die jungen Tiere dabei quietschen. Also lässt sie das bleiben, verschreibt sich Geduld und vertraut auf die Neugierde, von der diese Tiere schier endlos viel mitbringen. Um diese zu nutzen, öffnet Maria die niedrige Holztür hinter sich, womit sich den Tieren ein Bereich auftut, der ihnen sonst unzugänglich bleibt. Bald kann Maria, umzingelt von acht jungen Schweinen, mit Geschick und flinker Hand die entsprechenden Tiere mit der hautverträglichen Farbe kennzeichnen. Dem einen Tier malt sie ein Kreuz auf den Rücken, dem anderen einen Querstrich, einem nächsten einen doppelten Strich, einem nochmals anderen einen Punkt gleich über dem Hintern. Dot on the Butt steht im Protokoll.

Acht Abteile mit acht Tieren: Diese 64 Schweine sind ausgewählt worden, an einem Experiment teilzunehmen. Um sich dafür zu qualifizieren, haben sie, kaum drei Wochen alt und noch bei ihrer Mutter lebend, einen Persönlichkeitstest absolvieren müssen. «Für wissenschaftliche Forschung dieser Art ist es wichtig, die ganze Bandbreite von Persönlichkeitsmerkmalen vertreten zu haben», erklärt Sara Hintze. Die 37-jährige Verhaltens- und Tierwohlforscherin von der Universität für Bodenkultur Wien leitet das Projekt. «Hätten wir nur schüchterne, nur vorwitzige oder nur dominante Tiere, würde dies die Aussagekraft unserer Studie verfälschen.»

«Wichtig ist auch, so gut wie möglich keine Freundschaften einzugehen mit den Schweinen», sagt Maria, lachend und doch ernst. Sie erwähnt damit einen ganz anderen, ebenfalls wesentlichen Aspekt. «Also einerseits ist das schlicht aus emotionalen Gründen wichtig. Aber auch wegen der möglichen Verfälschung unserer Beobachtungen», fügt sie an.

Über Emotionen spricht sie nicht von ungefähr: Im ersten Durchgang der wissenschaftlichen Untersuchung kam es offenbar zu freundschaftlichen Bindungen von Studenten zu Schweinen, zum Beispiel mit einem Schwein namens Speedy Gonzales: «Er war extrem flink, aussergewöhnlich klug, er hat alles sofort begriffen. Und es gab ein Schwein, welches, so sehr wie kein anderes, das Gestreicheltwerden genossen hat. Traurig, aber wahr: Es gehörte just zu jener Gruppe, bei der jeder menschliche Kontakt auf ein Minimum zu begrenzen war.»

Die Gespräche machen deutlich: Der Abschied von den ersten am Versuch teilnehmenden Schweinen steckt den Forscherinnen noch in den Knochen. Freilich wussten sie von Anfang an, dass diese Tiere, wie alle übrigen des Betriebes auch, nach sechs Monaten zur Schlachtbank geführt werden würden.

Um sich durch den späteren Abtransport der Tiere, mit denen sie unzählige Stunden trainieren werden, emotional weniger tangieren zu lassen, haben sie sich nun, für den zweiten Durchgang, vorgenommen, etwas Distanz zu wahren – und den Testschweinchen keine Namen zu geben. Das klappt mit mässigem Erfolg: Am zweiten Tag bereits, kaum haben die ersten Trainings begonnen, kaum wird evaluiert, ob alle Schweine für ihre Bemühungen gerne mit Apfelstückchen belohnt werden, vollzieht sich, ganz subtil, bereits die erste Taufe. 

Mitarbeiterin Valerie beobachtet ein Ferkel, das so lange und so energisch auf einem Apfelstückchen herumbeisst, als handle es sich um ein Stück Grillkäse. Und schon heisst das Tier Halloumi.

Der Mensch, das denkende Tier. Teil 1

Teilnehmer einer vom Sozialpsychologen Timothy D. Wilson erdachten Studie werden gebeten, bis zu fünfzehn Minuten in einem kargen, jede Ablenkung vermeidenden Zimmer zu verbringen, um dort ruhig auf einem Stuhl zu sitzen und zu denken.

Sie müssen, ehe sie das Zimmer betreten, sämtliche persönlichen Gegenstände zurücklassen. Sie werden eingeladen, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, sich Tagträumen hinzugeben oder Phantasien zu entwickeln; bloss einschlafen sollen sie nicht: Sie sollen wach bleiben und denken. Maximal fünfzehn Minuten lang.

Die Mehrheit der Teilnehmenden berichtet nach dem Aufenthalt in dem Zimmer von einem unangenehmen Erlebnis, von Rast- und Lustlosigkeit, von einem schleppenden Zeitgefühl und davon, dass es nicht leicht gewesen sei, sich auf Gedanken zu konzentrieren.

Die intensive Haltung von Schweinen, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten etabliert hat, offeriert generös verschiedene Herausforderungen. Aufgrund der tendenziell zwar ansteigenden, aber immer noch lachhaft niedrigen Fleischpreise ist es schwierig, mit Schweinen Geld zu verdienen. Noch schwieriger ist es, Schweine bei guter Gesundheit zu halten. Vieldiskutiert ist dabei die sogenannte Caudophagie, die Neigung von Schweinen, sich gegenseitig die Schwänze blutig zu beissen oder diese gar vollständig wegzufressen.

Caudophagie wird allgemein als Ausdruck der überforderten Anpassungsfähigkeit eines Schweines gedeutet. «Schweine scheinen eine individuelle Schwelle zu besitzen, ab der die Tiere die Haltungsbedingungen, die ihr Wohlbefinden einschränken, nicht mehr kompensieren können und Schwanzbeissen als Ventil zum Stressabbau nutzen», sagt Agrarwirtschaftlerin Mechthild Freitag von der Fachhochschule Südwestfalen. «Tiere, die bereits Opfer einer Beissattacke geworden sind, tolerieren aufgrund des Juckreizes der Wunde ein weiteres Benagtwerden, und für beissende Tiere ist eine blutende Wunde umso kurzweiliger.»

Als mögliche Ursachen der Caudophagie gelten mehr oder weniger sämtliche Umstände, die ein modernes Schweineleben ausmachen: energiereiches Futter, wenig Platz, starke Konkurrenz bei der Fütterung, Rangordnung, Bewegungsmangel, Bodenbeschaffenheit, Altersunterschiede, Luft, Licht, Zugang zu Wasser und allgemeiner Gesundheitszustand.

Um das Problem zu bekämpfen, werden meist nicht Ställe angepasst, sondern Schweine. Intensiv gehaltenen Schweinen werden – obwohl das europaweit seit Jahrzehnten verboten ist – serienmässig die Schwänze abgetrennt. Viele Länder, denen dieser anhaltende standardisierte Rechtsbruch ein Dorn im Auge ist, bemühen sich um einen sogenannten Kupierverzicht: Verschiedene Massnahmen, Fördergelder und Beratungen sollen Landwirtende darin unterstützen, aus der Praxis des Schwanzkupierens auszusteigen.

In der Schweiz ist das Kürzen der Schwänze seit 2008 verboten, Probleme mit Caudophagie sind aber verbreitet. In einer 2016 veröffentlichten Studie mit über 3000 Schweinen wiesen fast 40 Prozent der Tiere mehr oder minder gravierende Bissverletzungen am Ringelschwanz auf.

Sara steht zwischen zwei hohen Metallregalen in dem schmalen Gang, welcher das Büro der Forscherinnen bildet; ein überaus bescheidenes, neonröhrenerhelltes Improvisorium. Hier organisieren sie ihre Arbeit, hier verbringen sie ihre Kaffeepausen, essen zu Mittag; Wasser für den Teekocher holen sie der Einfachheit halber meist im Stall drüben, bei den Schweinen.

«In der konventionellen Schweinehaltung», erklärt Sara, «nimmt man viel Tierleid als normal und unvermeidlich in Kauf. Die noch ganz feinen Klauen der Ferkel beispielsweise werden auf dem harten Stallboden in den ersten Tagen und Wochen oft blutig; auch sind die Gelenke gleich über den Klauen häufig von Schürfwunden gekennzeichnet, da die Ferkel während des Trinkens an der Mutter meist strampeln – es gibt halt kein Stroh und keine Erde. Beim Absetzen, üblicherweise bereits vier Wochen nach der Geburt, nimmt diese intensive Haltungsform zudem in Kauf, dass viele Ferkel aufgrund des abrupten Wechsels auf milchlose Ernährung an Durchfall erkranken. Bis zu einem Körpergewicht von 50 Kilogramm erhält ein Schwein dann mindestens 0,4 Quadratmeter Fläche, bei einem Tier von über 110 Kilogramm muss es ein Quadratmeter sein.»

Sara legt eine Pause ein, als hätte sie aufgrund ihrer nüchternen Schilderungen den Mut verloren.

«Mir ist aber wichtig», fährt sie schliesslich fort, «hier mit Tieren aus der konventionellen Haltung arbeiten zu können. Natürlich wäre es schöner, mit Freilandschweinen zu tun zu haben, aber in unserer Studie geht es ja genau um die Frage, wie sich Tiere mit dieser Genetik in diesen Bedingungen fühlen, wie sie emotional damit klarkommen.»

Es ist drückend warm. Maria, weiter damit beschäftigt, die Rücken der Tiere farblich zu kennzeichnen, schwitzt, aber das Raumklima ist vollkommen automatisch geregelt, die zwanzig Fenster bleiben unweigerlich zu. Diese Tiere sind in einem geschlossenen Raum geboren worden, sie haben die ersten vier Lebenswochen in einem geschlossenen Raum verbracht – und alles, was mit einem kühlen Luftzug verwandt sein könnte, würde wahrscheinlich zu Erkältungskrankheiten führen.

Das junge Schwein geht in eine leere Ecke des Stalls, bleibt stehen und guckt. Besonders spannend sieht es dort nicht aus. Es schnuppert, bewegt die Schnauze, blinzelt, blickt geradewegs hinein in die Stallwand und tut weiter nichts; dieses kleine, kompakte Paket von einem Tier, es steht, atmet und guckt. Hat es sich verfangen im Knoten eines langen Gedankenfadens? Oder hat das junge Schwein vielmehr jeglichen Gedanken verloren?

Drei, vier Meter vom Schwein entfernt sitzt Projekt-Mitarbeiterin Kristina hinter der schokoladenbraunen Holzwand, als müsste sie sich vor dem Schwein verstecken. In zwei Händen hält sie drei gespannte, auf trickreiche Art mit Teilen der Holzwand verbundene Schnüre; sie wartet. Wartet darauf, dass es weitergehen kann mit dieser etwas eigenwilligen Veranstaltung, aber solange das Schwein sich nicht bewegt, kann sich auch Kristina nicht recht bewegen, nichts bewegt sich, ausser dem Propeller im schwarzen Abluftschacht, der unermüdlich seinen leisen Lärm im Raum verrieseln lässt. 

Was tut das Schwein? Es sollte jene salatgrüne Plastikflasche anstupsen, die in der Mitte des Stall-Abteils am Boden steht. Dank zwei an der Decke angebrachten Umlenkrollen kann Kristina die an einer Schnur befestigte Flasche anheben. Dies tut sie nun, lässt sie dann zu Boden krachen, aber das Schwein kennt dieses Geräusch bereits, kennt es zur Genüge, es verbleibt teilnahmslos in seiner Ecke. «Das Interessante», schreibt der norwegische Philosoph Lars Svendsen in seinem Buch Kleine Philosophie der Langeweile, «hat immer ein kurzes Verfalldatum und keine andere Aufgabe, als so konsumiert werden zu können, dass die Langeweile auf Armlänge entfernt gehalten wird.»

Der Mensch, das denkende Tier. Teil 2

Lag es womöglich an dem fremden, unvertrauten Zimmer, dass das Durchleben jener fünfzehn für das reine Denken reservierten Minuten den meisten Teilnehmenden unangenehm war? Um dies zu überprüfen, führt das Team von Timothy Wilson dasselbe Experiment so durch, dass die Teilnehmer zu Hause bleiben durften; sie konnten sich online anmelden, auf einer Website eine entsprechende Taste klicken und so den Beginn des Experiments selbst bestimmen.

32 Prozent der Teilnehmer gaben später an, gemogelt zu haben, indem sie nicht auf dem Stuhl sitzen blieben, Musik hörten oder trotz allem zum Telefon griffen. Die Fragebogen jener, die nicht gemogelt haben, machen klar: Auch in einem vertrauten Raum ist diese Situation nur schwer zu ertragen. 

Einen leisen Seufzer lässt Kristina hören, blickt wieder auf die Tabelle, die vor ihr hängt, gleich neben dem Telefon, dessen Display zwei verschiedenfarbige Felder zeigt, auf denen long und short zu lesen ist; es fehlen noch zwei Durchgänge.

Der eine ereignislose Moment schiebt mühevoll den nächsten beiseite, es passiert nichts, es vertrocknet bloss der Fluss der Zeit.

Als sei es vonnöten, die sich ausdehnende Langeweile noch zu unterstreichen, knirscht im Abteil gegenüber ein Schwein mit den Zähnen. Es schläft, hält die Beine von sich gestreckt – und wie von unsichtbarer Hand bewegt, reibt kraftvoll der Schweineunterkiefer Schweinezähne über Schweinezähne; eine kleine Bewegung lediglich, aber es klingt, als mühe sich ein Lastwagen über einen Kiesweg. Noch immer passiert nichts: Im Abteil gegenüber steht das Schwein weiterhin untätig in seiner Ecke.

Könnte Langeweile dampfen, es sähe hier aus wie in einer Sauna in den ersten Augenblicken nach einem Aufguss.

Die Götter langweilten sich, schreibt Søren Kierkegaard, also schufen sie die Menschen. Adam langweilte sich, weil er allein war, darum ward Eva erschaffen. Von diesem Augenblick an kam die Langeweile in die Welt, wuchs an Grösse in genauer Entsprechung zum Wachstum der Menge des Volks. Adam langweilte sich allein, alsdann langweilten sich Adam und Eva im Verein, alsdann langweilten Adam und Eva und Kain und Abel sich im Familienkreis (en famille), alsdann nahm die Menge des Volks in der Welt zu und langweilte sich en masse. Um sich zu zerstreuen, kamen sie auf den Gedanken, einen Turm zu bauen, der so hoch sei, dass er emporrage in den Himmel. Dieser Gedanke ist ebenso langweilig, wie der Turm hoch war, und ein erschreckender Beweis dafür, wie sehr die Langeweile überhandgenommen hatte. Alsdann wurden sie über die Welt zerstreut, ebenso wie wenn man jetzt ins Ausland reist, jedoch sie fuhren fort, sich zu langweilen.

Dann endlich: Dot-on-the-Butt verlässt die Ecke, scheint zurückgefunden zu haben in die Gegenwart und trippelt relativ munter auf die Plastikflasche zu. Damit kehrt auch Kristina zurück aus der Endlosschlaufe eines langweiligen Moments und lässt via Schnur die Flasche wackeln, um diese attraktiver erscheinen zu lassen. Tatsächlich wirkt es: Das junge Schwein stupst alsbald die Flasche mit der Schnauze an und initiiert damit die Trainingsrunde: Kristina drückt die mit long beschriebene Taste auf dem Telefon, und unmittelbar erklingt ein Ton. Ein Ton in einem eher hohen Frequenzbereich, zugeschnitten für Schweineohren; vom Klang her eher unbequem, etwas in der Art jener Töne, mit denen sich Intercity-Türen schliessen. Bloss ein bisschen leiser ist dieser nun erklingende Ton, und nach acht Sekunden wird es still wie zuvor.

Sogleich zieht nun Kristina an den beiden anderen Schnüren, hievt damit gleichzeitig zwei kleine Holzbretter hoch, die sich rechts und links am Fuss der Holzwand befinden, womit die Wand zwei kleine Fenster erhält. Das Schwein marschiert zügig auf das eine Fenster zu, streckt seine Schnauze hindurch, und kaum hat Kristina diese Schnauze erblickt, holt sie einige Apfelstückchen aus einem Behältnis und legt sie direkt vor der Schweineschnauze in einen Napf.

Das junge Schwein lässt einen kurzen, zufriedenen Grunzer hören, und während das Tier hastig die Apfelstücke isst, macht Kristina einen zufriedenen Haken in der Tabelle, auf Zeile 19, und schliesst schliesslich, als die Apfelstückchen gegessen sind, die beiden Fenster.

Nun geht das Schwein erstaunlich zielstrebig zurück zur Plastikflasche, stupst sie an, und Kristina drückt auf short; der unbequeme Ton verstummt bereits nach einer Sekunde; Kristina zieht die beiden Klappen hoch.

Die Schweineschnauze erscheint im selben Fenster wie zuvor; also greift Kristina zu einer Fliegenklatsche und schlägt damit dreimal auf den Rand des Napfs, gleich vor der Schnauze des Schweins. Dann schliesst sie beide Fenster und macht auf Zeile 20 mit Kugelschreiber einen horizontalen Strich. Dot-on-the-Butt hätte, wie immer nach dem kurzen Ton, zum anderen Fenster hingehen sollen.

Kristina ist dennoch zufrieden: Dot-on-the-Butt habe sich, verglichen mit den beiden vorangehenden Trainings, deutlich verbessert. Bis das Tier zum Test bereit sei, werde es aber noch dauern.

Der Mensch, das denkende Tier. Teil 3

Das nächste Experiment findet wieder in einem fremden Zimmer statt; erneut sollen die Teilnehmer während fünfzehn Minuten still auf einem Stuhl sitzen und denken. Nun aber werden sie vorgängig darüber informiert, dass sie in dem Zimmer über die Möglichkeit verfügen werden, sich selbst, ganz freiwillig und ohne Folgen für den Verlauf des Experiments, einen elektrischen Schlag zu versetzen. Dieser stelle, so werden sie informiert, kein gesundheitliches Risiko dar, sei aber schmerzhaft.

Die Teilnehmer werden zudem gefragt, ob sie, einmal angenommen, der elektrische Schlag würde unfreiwillig verabreicht, bereit wären, etwas zu bezahlen, um den Schlag nicht erhalten zu müssen.

Ob sich ein Schwein langweilen kann? Vielleicht ist es dienlich, erst zu klären, was unter dem Begriff Langeweile ungefähr zu verstehen ist. Zwar finden sich in verschiedenen Lexika und in fachlichen Artikeln allerlei tauglich anmutende Definitionen; wesentlich bestrickender aber ist es, zum Beispiel den Philosophen Bertrand Russell (1872–1970) zu lesen: Eines der Hauptmerkmale der Langeweile ist der dabei empfundene Unterschied zwischen den gegenwärtigen Umständen und irgendwelchen anderen und angenehmeren, die sich der inneren Vorstellung unwiderstehlich aufdrängen. Es spricht auch stark mit, dass nicht alle Fähigkeiten voll angespannt werden. Wer, um sein Leben zu retten, vor seinen Feinden flieht, wird sich zwar in einer unangenehmen, sicherlich aber nicht gelangweilten Verfassung befinden. Auch bei seiner Hinrichtung dürfte sich ein Mensch kaum langweilen, er müsste denn einen übermenschlichen Mut besitzen. (…) Langeweile ist in der Hauptsache ungestilltes Verlangen nach erregenden Momenten, die nicht unbedingt erfreulich zu sein brauchen, sondern einfach derart, dass das Opfer der Langeweile imstande ist, einen Tag vom anderen zu unterscheiden.

Meist wird, wenn Langeweile bei Menschen erforscht werden soll, mit Fragebogen gearbeitet. Diese Fragen zielen, wie könnte es anders sein, auf Gefühle, auf Selbsteinschätzungen, auf Emotionen. Wer über seine Langeweile Auskunft gibt, zeigt sich damit als erlebendes, fühlendes und sein Erleben und Fühlen reflektierendes Subjekt.

Wer davon ausgeht, dass sich Tiere manchmal langweilen, setzt damit voraus, dass auch Tiere erlebende, fühlende und ihr eigenes Erleben und Fühlen reflektierende Subjekte sind.

Aber sind sie das?

Dass Tiere Schmerz empfinden können, bestreitet heute niemand. Ebenso ist breit akzeptiert, dass Tiere eine Vielfalt von Emotionen erleben: Wer mit Tieren zu tun hat, wird zahlreiche Situationen kennen, in welchen es schlicht überzeugend ist, einem Tier Freude, Angst, Neugierde, Zufriedenheit, Eifersucht, Unmut und ähnliche emotionale Zustände zuzuschreiben, auch wenn den meisten bewusst ist, dass es sich dabei um vielleicht unzulässige Zuschreibungen, um Vermenschlichungen handelt. Neurologen wie zum Beispiel Gerhard Roth, die uns vor Augen führen, dass unser menschliches Hirn, anatomisch gesehen, nichts anderes ist als ein typisches Säugetierhirn, stützen zwar die Annahme, dass wir mit diesen Zuschreibungen richtig liegen – aber wie können wir wissen, ob diese Gefühle vom Tier tatsächlich empfunden werden?

Ist, um an Langeweile überhaupt leiden zu können, nicht ein reich entwickeltes Selbstbewusstsein, ein umfangreicher Denkapparat nötig? Die Frage, ob Tiere über ein Bewusstsein verfügen, ist alt – wird aber erst seit wenigen Jahrzehnten, im Windschatten kognitionsbiologischer Wissensgewinne, mit einem ernstzunehmenden Aufwand zu beantworten versucht. Einer, der sich um derartige Antworten bemüht, ist Ludwig Huber, Leiter der Abteilung für vergleichende Kognitionsforschung des interdisziplinären Messerli-Forschungsinstituts für Mensch-Tier-Beziehungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Das rationale Tier heisst sein Buch, in welchem Ludwig Huber auf über 600 Seiten von kognitiven tierlichen Fähigkeiten schreibt.

Die Fähigkeit, sich Gedanken über Gedanken zu machen, zählt Huber mit zu den prominentesten Kandidaten für den Nachweis von menschenähnlichen Bewusstseinsvorgängen in der Tierwelt. Dazu gehört auch, sich vorstellen zu können, was andere denken. Dass sie diese Fähigkeit mitbringen, haben Schweine längst bewiesen: In einem berühmten Experiment zeigen sie, wie geschickt sie, ausgerüstet mit einem Wissensvorsprung, andere Schweine auf der Suche nach Futter in die Irre führen, um selbst von einer wenig besuchten Futterquelle zu profitieren.

Damit ist jedoch nicht geklärt, ob Schweine genügend kognitive Fähigkeiten mitbringen, um sich zu langweilen. Nico Müller, Tierethiker an der Universität Basel, geht die Sache anders an. Zum Thema Langeweile bei Tieren sagt er am Telefon:  

 «Hier ist es wichtig, Begriffliches zu präzisieren. Sprechen wir über existentielle Langeweile, dann geht es um eine Empfindung der Sinnlosigkeit des Lebens, damit landen wir rasch bei Heidegger – und unterhalten uns über eine Sache, die Einsichten voraussetzt über die ganze Lebensspanne. Sprechen wir jedoch über situative Langeweile, so tritt die vielleicht schon ein, wenn ich zehn Minuten an der Bushaltestelle warten muss. Benötige ich, um mich an der Bushaltestelle zu langweilen, ein stark ausgebildetes Selbstbewusstsein? Muss mir bewusst sein, dass ich mich langweile, um mich langweilen zu können? Ich glaube nicht. Für die situative Langeweile reicht es, unterstimuliert zu sein. Das mag harmlos klingen. Wird diese Langeweile jedoch chronisch, sind ihre Folgen gravierend. Und es ist entscheidend zu verstehen, dass die kognitiven Eintrittsbarrieren für diese Art von Langeweile relativ niedrig liegen. Notwendig ist lediglich ein Bedürfnis nach Stimulation, nach Informationen aus der Umwelt. Das hat vermutlich jedes lernfähige Tier, Schweine ganz bestimmt. Es gibt also, aus philosophischer Sicht, keinen Grund für die Annahme, Langeweile setze Selbstbewusstsein voraus – und es gibt a priori keinen Grund für die Annahme, ein Tier könne sich nicht langweilen.»

Der Mensch, das denkende Tier. Teil 4

Die Tests beginnen; alle Teilnehmer erhalten fünfzehn Minuten Zeit, um in Ruhe mit sich selbst zu sein und zu denken.

Offenbar empfinden zahlreiche Menschen eine fünfzehn Minuten umfassende Zeitdauer ohne äussere Aktivität und ohne Stimulation als derart quälend langweilig, dass sie es bevorzugen, statt gar keinen lieber einen negativen Reiz wahrnehmen zu können: 67 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen verabreichen sich während dieser fünfzehn Minuten einmal oder mehrmals einen elektrischen Schlag; ein Proband kann sich offenkundig nicht mehr bremsen und setzt sich nicht weniger als 190 Stromschlägen aus.

Angenommen, die Einschätzung des Tierethikers Müller träfe zu und Schweine wären fähig, an Langeweile zu leiden: Wie können diese Tiere angesichts der Tatsache, dass sie mit Fragebogen wenig anzufangen wissen, zu ihren Erfahrungen mit Langeweile befragt werden?

«Wir untersuchen», erklärt Sara Hintze, «in unserem Experiment die Langeweile nicht direkt, sondern wir isolieren verschiedene für Langeweile typische Symptome des Menschen und versuchen, diese beim Schwein nachzuweisen.»

Bei diesen Symptomen handelt es sich zum Beispiel um das Zeitgefühl und um fehlenden Optimismus. Gelangweilte Menschen – die Human-Psychologie dokumentiert es vielfältig, auch wenn die Tests dort etwas raffinierter gestaltet sind – neigen zu pessimistischem Verhalten und leben in dem Gefühl einer nur schleppend vorangehenden Zeit; auch kurze Töne werden tendenziell als länger anhaltend eingeschätzt.

Im Training für den Pessimismus-/Optimismus-Test lernen die Schweine, sich immer im Fenster ganz rechts an der Holzwand eine Belohnung abzuholen, links gibt es nie etwas – das Schwein lernt entsprechend, nicht zu dem geöffneten Fenster zu gehen. In der Testsitua­tion werden an der Holzwand auch Fenster geöffnet, die nicht ganz rechts liegen; diese Situation entspricht dem sprichwörtlichen halbvollen oder halbleeren Glas. Ist das Schwein optimistisch gestimmt, wird es in Erwartung einer Belohnung zu dem geöffneten Fenster gehen; ist es eher pessimistisch gestimmt, bleibt es stehen.

Im Training für den Test zur Zeitwahrnehmung lernen die Schweine, bei einem langen Ton immer zum rechten Fenster zu gehen, bei einem kurzen Ton immer zum linken. Wie wird das Schwein reagieren, wenn ein mittellanger Ton abgespielt wird? Interpretiert es ihn als eher kurz und geht zur linken Seite? Oder hat es das Gefühl, der Ton sei lang, und geht nach rechts?

Beide Situationen verlangen also nach einer Einschätzung, nach einer Interpretation durch die Tiere. Ihre Wahl, ihre Handlung – das ist ihre Antwort auf dem Fragebogen. Verglichen werden dabei Schweine, die in einem kargen Stall auf Betonboden leben, mit Schweinen, die über Einstreu, Boden zum Wühlen, regelmässig erneuerte Spielzeuge und andere Beschäftigungsmöglichkeiten verfügen.

Mit Tests dieser Art betreten die Forscherinnen im Team von Sara Hintze kein Neuland. Zwar scheint die Einsicht, dass die Gesundheit nichtmenschlicher Tiere sowohl physische wie auch mentale Aspekte aufweist, in ihrer Konsequenz noch nicht überall verstanden worden zu sein, aber Studien zu tierlichem Optimismus sind mittlerweile in ihrer Methodik gut etabliert. 

Unlängst konnte nachgewiesen werden, dass auch Bienen und Hummeln, wenn sie gestresst sind und Widrigkeiten erleben, ein eher pessimistisches Verhalten zeigen, indem sie nicht oder ablehnend auf neue Gerüche reagieren. Neu ist jedoch der Fokus auf die Langeweile, die im naturwissenschaftlichen Vokabular bis jetzt ein exotisches Dasein fristet.

Wie voraussetzungsvoll es ist, ein Schwein in eine Situation zu bringen, in welcher sich sein Verhalten zuverlässig bewerten lässt, illustriert eine Einrichtung, die sich die Forscher überlegt haben: das sogenannte Buddy Pen. Das ist ein Seitenabteil des Testbereichs, der durch ein feines Maschendrahtgitter vom eigentlichen Test-Abteil getrennt ist. Hier können sich Schweine, die sich während des Trainings unsicher fühlen, jene Motivation holen, die sie allenfalls benötigen, um sich auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren zu können. Denn im Alleinsein haben diese Tiere nicht nur schrecklich wenig Übung, sondern es widerspricht auch ihrem Naturell. Viel lieber pflegen sie durch Blick- und Schnauzenkontakt ihre Freundschaften. 

«Wir haben gelernt, dass diese emotionale und kollegiale Unterstützung für einige Schweine enorm wichtig ist», sagt Kristina. «Einige Individuen gehen immer wieder zum Fenster des Buddy Pens zurück, um sich zu vergewissern, dass alles okay ist, dass sie nicht allein sind. Erst dann fahren sie mit dem Training fort.»

Das Training, die Tests, die Auswertungen, das Verfassen der Studie: All diese Arbeiten werden drei Jahre in Anspruch nehmen. Erste Resultate erwartet Sara Hintze gegen Ende 2023.

Die bisherige Forschung zum Thema Langeweile bei Tieren ist höchst bescheiden. Zudem tritt auch in philosophischen Texten nicht selten die Meinung zutage, Tiere könnten sich nicht langweilen. Ist Langeweile bei nichtmenschlichen Tieren eine Glaubensfrage, ein gutes Thema für Scherze?

Nico Müller hält dagegen und erwähnt, dass der wirtschaftliche und gesellschaftliche Kontext beeinflusse, was erforscht wird und was nicht. «Zudem haben die Ergebnisse zur Erforschung von Langeweile bei Tieren wenig Aussicht, folgenreich zu sein. In der industriellen Tierhaltung gibt es kaum Möglichkeiten, mit einigen wenigen Massnahmen die Umstände für die Tiere zu verbessern. In Zoos wird Langeweile viel häufiger thematisiert, und es finden sich dort auch öfter Ressourcen, um die situative Langeweile gering zu halten. Was im Zoo möglich ist, lässt sich aber nicht ohne weiteres auf die Nutztierhaltung übertragen – und es stellt sich auch die Frage, ob sich Langeweile in der industriellen Tierhaltung abschaffen liesse, ohne sie dabei als Ganzes abzuschaffen.»

 Aber falls Langeweile tatsächlich zu den wichtigsten Ursachen von vermindertem Tierwohl gehört – wie erklärt sich, dass die Gesellschaft über diesen Missstand nicht längst breit diskutiert?

 «Reden wir über Tierwohl oder über Tierschutz», sagt Nico Müller, «so haben wir uns angewöhnt, über das unnötige Zufügen von Schmerzen zu sprechen. Oder wir reden davon, dass ein Tier gestresst wird. Alle sind sich einig, dass wir Tieren keinen unnötigen Schmerz zufügen sollen, dass wir Tiere keinem Stress aussetzen sollen. Das ist kulturell breit akzeptiert. Aber Schmerzen und Stress sind lediglich zwei Formen von unangenehmen Zuständen, daneben gibt es weitere, zum Beispiel die Übelkeit, die Trauer oder eben die Langeweile. An diese denken wir kaum. Aber es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Langeweile in der Summe die grösste Beeinträchtigung des Tierwohls für landwirtschaftlich genutzte Tiere darstellt.»

In welche Richtung die Resultate von Sara Hintze und ihrem Team weisen könnten, wird bis dahin illustriert von anekdotischem Wissen: «Meine momentane Masterstudentin», erzählt Sara, «hat neulich mal ein Tier getestet, das schon seit Wochen mit allen Experimenten fertig war, einfach um zu schauen, wie es reagiert. Das Schwein ist vor Freude, wieder in der Test-Arena zu sein, hin und her galoppiert, es hat Kapriolen gemacht – und im Test keinen einzigen Fehler.»