«Wenn Leute bei Shein einkaufen», sagt Kiki Boreel, «finde ich das wirklich ekelhaft. Das kann mich richtig wütend machen. Klar: Mir geht es um positive Veränderungen, um Ermutigung und darum, einen besseren Weg aufzuzeigen. Aber wenn jemand wissentlich bei einer Marke kauft, die Menschen ausbeutet und sich weigert, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen – das macht mich manchmal sprachlos.
Es mangelt den Menschen, die ein derartiges Kaufverhalten zeigen, vielleicht nicht am Bewusstsein, jedenfalls nicht grundsätzlich, denn es gibt viele Wege, wie Menschen ihr Wertesystem für einen Moment ausblenden. Es braucht wenig, und schon tut sich eine Lücke zwischen ihrem Wissen und ihrem Verhalten auf: Eigentlich sind sie sich eines Problems und ihrer Verantwortung dafür bewusst. Dann sehen sie, wie billig ein Produkt ist – und wollen es haben.
Ich sollte klarstellen: Ich spreche hier nicht von Menschen, die sehr wenig Geld haben und dann einmal im Jahr bei Zara zwei, drei Sachen kaufen, weil sie dort halt billig zu haben sind. Nein, ich spreche von den Menschen, die genügend Geld haben, um verantwortungsvoll produzierte Kleider zu kaufen. Die Statistiken sprechen Klartext: Verglichen mit den Zahlen, die ein paar Jahre zurückliegen, geben wir heute einen geringeren Anteil unseres Einkommens für Kleidung aus – kaufen aber mehr Kleider. Und das ist genau der Punkt, den ich kritisiere. Menschen, die es sich leisten können, ihr Kaufverhalten zu verändern, stehen in der Verantwortung, dies zu tun.
Eine erwachsene Person in Deutschland besitzt im Schnitt 87 Kleidungsstücke (Frauen: 107, Männer: 68).
Anzahl ungenutzter Kleidungsstücke in deutschen Kleiderschränken: 1 Mrd.
Das eigene Verhalten zu verändern, ist ein harter, aber wichtiger Kampf. Charles Eisenstein sagt: Wir haben die Idee von ewigem Wachstum und dem ständigen Verlangen nach neuen Dingen selbst erschaffen. Sie bringt im Wesentlichen ein kapitalistisches, liberales System hervor, das auf einer Wegwerfwirtschaft basiert. Diese falsche Selbsterzählung facht sowohl den Klimawandel wie unser individuelles Unglück an.
Wenn wir unsere Geschichten und unsere Selbstwahrnehmung ändern, können wir unsere Wirtschaftsweise und ihre Folgen ändern.
Wirtschaft ist zu einem grossen Teil Psychologie: Wir haben Bedürfnisse und Wünsche. Die Modeindustrie spielt geschickt damit. Sind deine Bedürfnisse erfüllt, bist du zufrieden. Ein erfüllter Wunsch jedoch erzeugt sogleich den nächsten Wunsch. Die Modeindustrie ist eine Meisterin darin, bei uns Wünsche auszulösen.
Kluges Marketing macht uns süchtig, mehr zu konsumieren, nur um sicherzugehen, dass man Teil ist von etwas Grösserem oder zu einer Gruppe gehört, als deren Teil man sich gerne fühlt.
Die Zusammenhänge sind im Grunde sehr einfach, aber verheerend: Je mehr man kauft, desto mehr will man kaufen. Je mehr wir kaufen, desto mehr wird produziert. Es ist ein sich ständig beschleunigender Teufelskreis. Für mich besteht das Gegenmittel darin, mich auf meine Bedürfnisse zu besinnen.
Natürlich ist die Kleidung auch ein Teil der eigenen Identität. Die Menschen wollen zeigen, wer sie sind. Das ist das Faszinierende an der Modeindustrie, das ist, was mich als Model immer wieder motiviert: Es geht um Handwerk, Identität und Kreativität.
Ich denke, das ist etwas, mit dem wir auf jeden Fall experimentieren dürfen. Jeder sollte die Freiheit haben, auszuprobieren, wie er sich der Welt zeigen will. Auch ich tue das.
Aber ich lebe nach der Fünf-Punkte-Regel. Ich kaufe also jedes Jahr fünf neue Teile, falls ich sie will, falls ich sie brauche.
Die Idee dahinter, vorgeschlagen vom Hot or Cool Institute: Wenn du jedes Jahr höchstens fünf neue Kleidungsstücke kaufst, bleibst du mit deinem Verbrauch innerhalb der planetarischen Grenzen.
Und es muss nichts Neues sein: Es gibt so viele Secondhand-Läden, es gibt so viele Kleidungsstücke von wirklich guter Qualität. Wir haben heute global gesehen genug Kleidung für sechs Generationen.
Ich denke, dieses ständige Bedürfnis, die eigene Person, die eigene Identität neu zu erfinden, liegt daran, dass diese jüngere Generation keine tiefe Verbindung mit Freunden, mit der Familie, mit der Natur eingehen kann. Vor einer Weile habe ich gemeinsam mit anderen Aktivistinnen einen Protest auf der Kalverstraat durchgeführt, einer Modestrasse in Amsterdam. Dabei haben wir aus 6 Tonnen Kleidung einen richtig grossen, nicht besonders hübschen Kleiderberg angehäuft, um zu zeigen, wie viel die Niederländer alle zehn Minuten wegwerfen.
Die Reaktion der Menschen war ziemlich heftig. Viele Münder standen offen. Wir haben sie gefragt: Was ist die Lösung?
Und die Leute sagten tatsächlich: Weniger kaufen!
Dann haben wir sie gefragt: Werdet ihr weniger kaufen?
Dann sagten sie: Nein.»