Manuel Schweizer
Der 53-jährige Unternehmer aus Bern ist gelernter Innendekorateur. Nach langjähriger Tätigkeit in einem Schweizer Möbelhaus gründete er 2019 die Firma Ocean Safe.
Von Verboten und Gesetzen, die ökologisch motiviert sind, hält Schweizer wenig. Daran, dass Firmen plötzlich auf Profite verzichten, um weniger umweltbelastend zu wirtschaften, glaubt er nicht. Der Berner Firmengründer hält es auch für unwahrscheinlich, dass der Mensch, der es sich leisten kann, auf übermässigen Konsum verzichtet.
Verblüffenderweise sieht der 58-Jährige in dieser Haltung überhaupt kein Problem. Er sagt: «Wir können noch eine kleine Weile so dumm wie bisher weitermachen: Am Schluss wird ohnehin alles gut kommen. Denn es braucht nur wenig Menschen, um ganz vieles, das heute schiefläuft, zu korrigieren.» Der Grund für einen derartig hochtrabenden Optimismus liegt direkt vor Manuel Schweizer in seinem Berner Büro auf dem Tisch: ein Becher mit braunen Kügelchen, ein jedes etwa halb so gross wie eine Kaffeebohne.
Dieser Stoff ist das Resultat jahrelanger Forschung. Schweizer arbeitete lange als Innendekorateur für ein grosses Möbelhaus und beschäftigte sich dadurch immer wieder mit Heimtextilien. Er war lange Zeit ein Verfechter von Bio-Baumwolle. Seine Recherchen brachten ihn eines Tages in ein entlegenes Tal in der Türkei, in welchem nach bester Tradition Baumwolle kultiviert wird. Ohne Agro-Chemikalien, mit wenig Wasser. Er kündigte, studierte Produktmanagement, Fachrichtung Textil, verwandelte sich in einen Unternehmer, der ins Geschäft mit der Bio-Baumwolle einstieg. Es lief gut. So gut, dass die Nachfrage bald das Angebot übertraf, denn jährlich können in dem türkischen Tal lediglich 3000 Tonnen Baumwolle gepflückt werden, weniger als 1 Prozent der globalen Bio-Baumwoll-Produktion.
Diese Lieferbegrenzung und die daraus erwachsene Einsicht, nicht die ganze Welt von Bio-Baumwolle überzeugen zu können, liess ihn erst nachdenklich und dann erfinderisch werden.
Er beschäftigte sich fortan mit anderen Ausgangsstoffen für Textilien. Auch mit synthetischen, aus Erdöl hergestellten Materialien. Akribisch versuchte er zu verstehen, wie sich unterschiedliche Polymere
verbinden lassen.
Schweizer gründete die Firma Ocean Safe und investierte fortan in Laborarbeit. Schliesslich entwickelte er ein Material, das schwer entflammbar ist, elastisch, frei von Schwermetallen und anderen belastenden Stoffen, das mehrere hundert Waschgänge besteht, angenehm zu tragen – und dennoch biologisch abbaubar ist. Aus depolymerisierten Rohstoffen, welche partiell aus alten Kunststoffen gewonnen werden, entstanden erste Kleider.
Dieses Material hat Ocean Safe viel Aufmerksamkeit gebracht, aber auch Misstrauen. «Die Sache klingt für viele zu gut, um wahr zu sein», sagt Schweizer.
Der Berner Erfinder wollte noch weiter gehen. Anfangs steckte in seinem Produkt noch «ein Tropfen Erdöl», wie er sagt. Also intensivierte er seine Forschungen und stiess auf ein Material, ganz ohne fossile Ausgangsstoffe. Das Material nennt sich Conea; sein Kern ist ein neues Biopolymer. Der wesentliche Bestandteil der braunen Kügelchen ist Lignin. Ein Stoff, der sich in fast jeder Pflanze und in jedem Baum finden lässt. Ein weltweit in grossen Mengen und in hoher Geschwindigkeit nachwachsender Rohstoff, der unter anderem bei der Papierherstellung als Abfall ausgeschieden wird.
«Ein T-Shirt, hergestellt aus Conea, kann ich, wenn ich es nicht mehr tragen will, übertrieben gesagt, auf den Acker werfen: Es verwandelt sich dort in Nährstoffe und hat einen positiven ökologischen Effekt. Es wird zu Dünger. Conea hat das Potenzial, sofern sich die Logistik organisieren lässt, weltweit Baumwolle und Polyester zu ersetzen.»
Der Einwand, das klinge zwar wunderbar, sei aber sicher unbezahlbar, weil das ökologische Lösungen in aller Regel sind, ist naheliegend. Und wenn Schweizer sein betagtes und sichtlich viel herumgetragenes Notizbuch hervorholt, voll von chemischen Formeln und Skizzen; wenn er erzählt, er habe zu Hause eine Apparatur für kleine Experimente und habe auch schon Stubenfliegen eingefangen, um deren Eiweiss zu polymerisieren – dann liegt der Verdacht nahe, es hier mit einem Tüftler zu tun zu haben, der viel Zeit mit Chemiebüchern verbracht, aber sich wenig mit Ökonomie beschäftigt hat.
Aber Schweizer weiss, wie die Wirtschaft tickt: «Ich kenne eigentlich keine Firma, die sich wirklich für Ökologisches interessiert.» Er weiss, welche Argumente er benötigt, um seine Produkte zu bewerben. Seine Kügelchen lassen sich in jede herkömmliche Polyester-Maschine einfüllen. Sie haben einen tieferen Schmelzpunkt als Polyester: Firmen können dadurch Energie sparen. Und Farbe, denn die Kügelchen nehmen Textilfarbe besser auf als Fasern aus Baumwolle oder Polyester.
Aber wollen das die Kunden?
«Man muss wissen», sagt Schweizer, «Textilfirmen sind Schäfchen. Wenn einer kommt, werden bald alle anderen kommen. Bis vor drei Jahren haben wir vor allem Anfragen von Studierenden erhalten. Dann kam die Armasuisse zu uns. Die haben unser T-Shirt getestet und nun zweihundertmal gewaschen und sind verblüfft, dass es noch immer aussieht wie neu; jetzt haben wir ihren Auftrag.»
Gerade wird Ocean Safe bestürmt; grosse Firmen sind auf das kleine Unternehmen aufmerksam geworden. Es scheint, als liesse sich der hochtrabende Optimismus, von dem sich Manuel Schweizer tragen lässt, ummünzen in einen geschäftlichen Erfolg. Nicht zuletzt, weil sich unter den nun bei Ocean Safe anklopfenden Firmen eine recht bekannte aus China befindet.