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KIKI → Eine Influencerin beginnt zu zweifeln

KAPITEL 5/10

TEIL III

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Während das dunkle Haar von Kiki bald aussieht, als wäre sie quer durch Kopenhagen geschwommen, während andere Models bereits eingekleidet werden in jene Kollektion, die, gemessen an dem Umstand, dass sie aus Bettwäsche und Tischtüchern angefertigt ist, erstaunlich chic und alltagstauglich anmutet, versammelt sich vor dem alten Backsteinhaus bereits das Publikum. Es beginnt die Martan-Präsentation zwar erst in vierzig Minuten, aber wie anderswo ist es auch in Kopenhagen üblich, vor der eigentlichen Show eine ganz andere Show zu sehen. Jene der bislang unentdeckten Models, der Newcomer, der höchst individuell angefertigten Outfits.

Unter den dreissig, vierzig Menschen, die sich vor dem Backsteinhaus versammelt haben, befinden sich zahlreiche Fotografen, die, meist selbst auffallend gekleidet, auf die Ankunft der Taxis warten – wer entdeckt werden will, kommt nicht mit der Strassenbahn.

Für diese Szenerie trifft zu, was das australische Model Kate über Kopenhagen und Diversität gesagt hat; manchmal dauert es eine Weile, bis ersichtlich wird, wer oder was sich da aus einem Taxi löst, und bisweilen mutet es an, als trage jemand, geflüchtet scheinbar aus einem brennenden Hotel, nichts als den im letzten Augenblick von der Stange gerissenen Duschvorhang. Nicht immer wird klar, ob es sich bei den Objekten, in denen die Schienbeine der Person verschwinden, tatsächlich um überdimensionierte Stiefel handelt oder doch eher um zwei Mülleimer mit Sohlen.

Die Taxis fahren vor und entladen ihre eindrücklich kostümierte Fracht. Alle zücken ihre Telefone, fotografieren, sind begeistert. «Kopenhagen ist umwerfend», raunt eine Fotografin, die für eine Modezeitschrift in Polen arbeitet. Viele kennen sich, Küsschen werden ausgetauscht, Komplimente machen die Runde. Was hier geschieht, sich Moment für Moment neu bestätigt, muss genau das sein, was Kate erzählt über ihre Motivation, auch nach über 30 Jahren noch auf dem runway zu arbeiten: «Mode macht etwas Wichtiges mit dir. Was du trägst, verändert dich, verändert gleichzeitig die Art und Weise, wie du wahrgenommen wirst. Du kleidest dich und sagst damit: Das bin ich. So will ich gesehen werden. Es ist simpel, es ist stark; es kann dir sehr viel geben.»

Kiki Boreel hingegen wird oft gebremst von ambivalenten Gedanken. «Es ist dieses Konsumierenwollen: Zuerst konsumieren wir die Bilder der Kleider auf Instagram, dann wollen wir sie kaufen … », sagt sie und wird still und nachdenklich. «Ich habe mich während langen Monaten gefragt, ob ich mit der Arbeit als Model aufhören soll. Aber Freunde haben gesagt: Du hast dir einen Namen gemacht, hast 12 000 Follower, wirst für Vogue fotografiert. Du hast eine Verantwortung und kannst sie für Gutes nutzen.»

Gutes, das ist für Kiki vor allem Aufklärung. Sie, die vor wenigen Jahren noch für Marken gemodelt hat, die nach dem Geschäftsmodell der Fast Fashion produzieren, hat sich, konfrontiert auch mit den Kleiderbergen, die ihr als Model begegnet sind, in jemanden verwandelt, der die Öffentlichkeit darüber informieren will, wie zum Beispiel «psychologische Obsoleszenz» funktioniert. Also die Strategie von Designern und Marketing-Menschen, durch Werbung ein tadelloses Produkt als veraltet erscheinen zu lassen und uns den Wunsch einzupflanzen, es durch ein neues zu ersetzen.

«Als ich angefangen habe, online über Verschmutzung, Ethik und Klimawandel zu sprechen, davon, wie wichtig es ist, ganz neu darüber nachzudenken, was wir tatsächlich brauchen, habe ich umgehend 3000 bis 4000 Follower verloren. Damit habe ich rechnen müssen. Jetzt gewinne ich mehr und mehr Follower zurück. Es sind Menschen, die verstehen, was ich meine, wenn ich sage: Die nachhaltigsten Kleider, die es gibt, hängen bei dir zu Hause im Schrank.»

Ihre Agentur hat ihre Entscheidung, nur noch mit verantwortungsvollen Labels zusammenzuarbeiten, umgehend akzeptiert.

Aber Kiki hadert weiter mit dem, was sie die Ära der sozialen Netzwerke nennt: «Ich möchte, dass die Menschen langsamer werden, weniger Zeit auf Social Media verbringen, sich weniger von Influencern beeinflussen lassen. Das ist schmerzhaft widersprüchlich, nicht wahr? Die Botschaft, die ich online abgebe, widerspricht im Grunde allem, was Online-Plattformen tun.

Die sozialen Medien fördern ein ständig erneuertes Bedürfnis nach Neuem, unsere Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sich dramatisch. Diese beschleunigte Wahrnehmung ist einer der Hauptgründe, warum wir das Bedürfnis haben, uns immer wieder neu zu erfinden. Dies schafft eine Online-Identität, die ständig Vergleichen ausgesetzt ist. Ich kenne das: So habe ich gelebt, als ich noch Vollzeitmodel war. 

Wenn ich mich von den sozialen Medien zurückziehe, bin ich viel weniger besorgt über das, was ich tue – ich muss mich nicht ständig vergleichen.

Offline zu sein, ist ein Geschenk. Wenn man noch nie die Erfahrung gemacht hat, wie sich das anfühlt – und ich bin enorm dankbar, dass ich ohne soziale Medien habe aufwachsen können –, wenn man also noch nie eine Welt ohne Social Media erlebt hat, ist es richtig schwer, das zu tun. Und es ist richtig schwer, sich eine Welt vorzustellen, die tatsächlich langsam ist, weniger digitalisiert.»